Frühlingsreise nach Südfrankreich oder Solitude an der Cote d`Azur
J´essaye d´ecrire!
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Belfort - schönes Fort. Bombastische Wehrmauern mit schmalen Durchlässen querten die Straße im Nieselregen der schleichenden Abenddämmerung. Der Tag durch das Elsass war vorübergegangen, durchwachsen vom Licht und den Schatten der bergig ostwärts ziehenden Wolken. Burg Königstein, wilhelminisch restaurierter Ritterbau, hatte ich spazierend umrundet, die ersten Fotos gemacht, mit dem Blick kurz die Ebene zum Rhein hin überflogen. Bergab, mit gleichmäßigem Tempo, genießend die Serpentinen unter die Räder gebracht, war mein nächstes Ziel Riquewihr, romantisches, mittelalterliches Städtchen mit Wein-Nepp und Touristenschwemme - die Busse links, die PKW rechts geparkt. Bergheim, kurz zuvor durchrollt, hatte mir besser gefallen.
Über Colmar fuhr ich nach Breisach ins Badische tankte billigeren Sprit und beantwortete die Frage des französischen Zöllner nach dem wohin, lässig mit "Südfrankreich". Sein unausgesprochenes "Bon Voyage" nahm nur meine Phantasie zur Kenntnis und die Straße nach Südwesten, mit verkniffenen Augen der untergehenden Frühjahrssonne trotzend, gehörte meinem mittelmeerblauen Opel. Jetzt, wo es dunkel wurde und die entgegenkommenden gelben Scheinwerfer sich auf der regennassen Straße spiegelten, war ich endlich unterwegs. Zeit und etwas Geld und ab in den Süden. Der Winter war lang genugund so war ich meiner Wohnung entflohen, die muffig roch nach Verkriechen und Warten auf bessere Zeiten. Im allerletzten Abendlicht, das sich endgültig hinter die regenschweren Nachtwolken zurückzog, erkannte ich einen hochgereckten Daumen, der aus dem Ärmel einer Kapuzenjacke ragte. Klar Sache: Rechts ran, Tür auf, Typ rein. Ein Landsmann, aus Bochum stammend, hatte es heute nur von Freiburg bis Belfort geschafft; das miese Wetter und die zurückhaltenden Autofahrer machten das Trampen zum Geduldsspiel. Mein Hinweis, nicht mehr all zu lang in der Dunkelheit fahren zu wollen, schien ihm nichts auszumachen; er hatte Zeit wie ich auch und wollte auch in den Süden ans Meer. Übernachten sei für ihn auch kein Problem: Ab in die Büsche mit Zelt und Schlafsack. Auf einem Rasthof, dort wo die Trucks standen, hielten wir an. Einfaches Menu mit Vin rouge in Fernfahreratmosphäre förderten frankophiles Feeling. Danach, die RN noch ein paar Kilometer weitergerollt, fand bald ein ruhiger Rastplatz unsere Zustimmung. Die gleich darauf erfolgte Polizeikontrolle legitimierte dann aber auch unser Bleiben. Er sei Maschinenbauer, seit längerem schon kurz vor dem Diplom, erzählte mein Kamerad auf Zeit. Aber die Aussicht, Ingenieur im Kraftwerkbau zu werden, hätte er durch sein Engagement beim ASTA erfolgreich verdrängt. Wir unterhielten uns - ich hatte es mir auf der Rückbank bequem gemacht - über Bücher und Musik. Als Mitveranstalter von Uni-Feten und Konzerten kannte er sich in der Musikszene des Ruhrgebiets etwas aus, hatte weiland `81 schon Wolfgang Niedecken mit den BAP engagiert, als die noch wenig bekannt waren; auch um die Korrumpierung und Entfremdung endlich ins Geschäft gekommener Bands konnte er ein Lied singen. Als er sich später in sein Zelt zurückzog, klatschten schneeschwere Tropfen auf die Windschutzscheibe.
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Der Schäferhund und ich hatten Glück. Er kam vor dem rechts von mir fahrenden LKW plötzlich zum Vorschein - nur hartes in-die-Eisen-treten verhinderte den Crash. Im weiterlaufen neigte er den Kopf zu mir mit erstauntem Hundeblick - um Augenblicklich wieder zu verschwinden - wohin auch immer. Nach dem Aufstehen bzw. Aussteigen war ich spärlich bekleidet über den Rastplatz zum natursteingemauerten Toilettenhäuschen gejoggt, das Wasser war eiskalt, die Morgenwäsche dementsprechend angemessen knapp. Nachdem ich angezogen war, hatte mein Begleiter bereits Zelt und Schlafsack im Rucksack verstaut. Frühstück in der nächsten Fernfahrerkneipe mit Cafe au lait und frischen Crossaints. An der Theke schwatzten die Männer über Sport und Politik, vermutete ich. Auf dem Weg zum Auto verbellten uns drei Hunde aus ihrem Zwinger heraus, wohl eher aus Neugierde, denn aus Wachpflicht heraus. Auf einem Rasthof kurz vor Lyon nahmen wir ein zweites Frühstück, bestehend aus neuem Baguette und altem Käse. Im Freien war es dann doch ziemlich frisch, der kalte Wind strafte den blauen Himmel und die strahlende Sonne lügen. Natürlich verpassten wir die günstigste Tankstelle; dann halt ein paar Kilometer weiter teurer getankt - nach 400 km immerhin ein durchschnittlicher Verbrauch von ca. 10 Liter auf 100 km. Licht und Landschaft wirkten nun schon ganz schön südlich, selbst die Kühltürme des Kraftwerks mit dicken Dampfkronen geziert, waren zu verkraften; von der rasch fließenden Rhone scheinbar kaum beachtet. Gespräch mit dem Tramper über AKW's und Demos: Er meinte, viele Betreiber wären inzwischen gar nicht mehr so unglücklich über den Widerstand der Menschen; so manches realisierte Projekt hätte sich im Nachhinein nur schwer armortisieren lassen. In der Bar, wo wir einen kleinen "Roadsnack" nahmen, rauchte der Wirt die ganz schwarzen Gitanes, eine nach der anderen, und fütterte seinen träge hingelümmelten Dackel mit Zuckerstückchen aus der Thekendose. Gelassenheit oder Tristesse? Das Flair dieser Straßenrandklitsche erübrigte einen weitern Verbleib - Avignon war nah. Die berühmte Brücke hatten wir kaum wahrgenommen, fanden wir doch gleich hinter einem der historischen Stadttore einen Parkplatz am Rande der engen Hauptstrasse, die die Altstadt erschloss. Nach einem ausgiebigen Spaziergang, vorbei am gegenpäpstlichen Palais, fanden wir eine kleine Kneipe und bestellten uns Bier und Pastice - am helllichten Tag -, nicht anders waren die erstaunt hochgezogenen Brauen des Kellners zu verstehen. Abends dann, etwas ausserhalb, fanden wir ein ruhiges Plätzchen an einem kleinen Fluß. Heftig zerrte der Mistral am Auto und blähte den Schlafsack des in einer Kuhle nächtigenden Kumpels aus dem Ruhrpott. Als wir uns am nächsten Morgen nach einem Frühstück von einander verabschieden - er wollte Richtung Nimes, ich Richtung Aix-en-Provence - taten wir dies angenehm anonym. Wir hatten vergessen, uns nach unseren Namen zu fragen.
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Dudelmusik, Stimmengewirr, zischende Geräusche von der Kaffeemaschine hinter der Theke; die Männer an den Tischen entlang der Fensterfront studierten und palaverten über die Rennergebnisse und füllten erneut Pferde-Wettscheine aus. Das Bar-Tabac-Cafe in St.Aygulf, am Place de la Poste, etwas abseits der Küstenstrasse, war mir schon vertraut, hier Kaffee zu trinken nach der Morgentoilette, fast zur Gewohnheit geworden. Der Wind im Rhonetal war wie ein lindes Lüftchen gewesen, verglichen mit den Sturmböen, die seit zwei Tagen, bei klarem Himmel, vom Land her Staub und Stühle durch die Luft wirbelten. Doch das sandige Knirschen in Ohren und Schuhen war mir längst nicht mehr lästig. Sprachlos spürte ich von Tag zu Tag die Gelassenheit der mich umgebenden Einheimischen immer deutlicher: ich hatte begonnen mich - jedenfalls physisch - zu assimilieren.
Fünfzehn Tage waren seit Avignon vergangen und es war nun an der Zeit, das erlebte niederzuschreiben. Tage anstrengender Konversation, andauerndes Stolpern über dahingeworfene Französischbrocken meinerseits: depremierende Unzulänglichkeit im Kampf um die Anerkennung als denkendes und fühlendes soziales Wesen. Tage der einsamen Orientierung nach dem wohin und wo bleiben, warum und warum nicht. Aber ich hatte mir die Solitüde zur Maxime gemacht, musste täglich neue Entscheidungen treffen; jetzt hatte ich mich endgültig zum Schreiben entschlossen: Das Teewasser auf dem kleinen Gaskocher, im Windschatten des Vorderrads, war schnell heiß geworden. Das frische Baguette, betrichen mit Frau Gültlings feiner Johannisbeer-Marmelade aus Früchten ihres Gartens zu Durlach, genoß ich sitzend auf der sonnenerwärmten Motorhaube. Der unbefestigte Rastplatz zwischen Avignon und Aix-en-Provence war eigentlich öd und trist, übersät mit Abfällen und Pfützenresten in zu großen Schlaglöchern - wäre da nicht das Mädchen auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Parkplatzes gewesen. Langes, dunkeles, mattglänzendes Haar, hübsche Gesichtszüge, wie ich aus der Entfernung erkennen konnte. Zum luftig-weiten Pulli trug sie einen weißen Mini-Rock, der den schwarzbestrumpften Beinen genügend Platz ließ, zur Geltung zu kommen; ein Handtäschchen hatte sie locker über die Schulter gehängt.
Kaum Zeit darüber nachzudenken, wer wohl und warum wohl, diese attraktive Tramperin aus dem Wagen geschubst hatte, hier, zwischen Ort und Ort, hielt schon ein Fahrzeug neben ihr. Nach kurzem Wortwechsel mit dem Herrn hinterm Steuer, stieg sie zu, nachdem ihr die Beifahrertür geöffnet worden war. Allen weiteren Vermutungen enthoben sah ich, wie das Auto den Parkplatz auf einen abzweigenden Feldweg verließ und gleich darauf zwischen Büschen und Bäumen verschwand. Keine zehn Minuten später, ich hatte gerade die mir selbst zugestandene Mischung der besondern Art in meine Lieblingspfeife gestopft (morgens ne' Pfeife und der Tag kommt zur Reife), entstieg "Belle de Jour" bereits wieder dem Vehicel auf Zeit, dessen Chauffeur grußlos in seine ursprünglich Richtung davonbrauste. Sie lief zurück zur Einfahrt des Parkplatzes, jetzt eindeutig eindeutig, gemessenen Schrittes auf und ab gehend. Wie sich nun meine Phantasie ausmalte, beflügelt durch mein einschlägiges Rauchwerk, das immer noch munter im Pfeifenkopf klomm, was wohl hinter Büschen und Bäumen des Feldwegs geschehen war: Wie - innerhalb von acht Minuten - und wo, ob im Auto (Kleinwagen R5!) nur von Hand oder neben dem Auto (im Gras oder gar in einer Hütte) der Herr am Steuer seine flüchtige Entleerung fand? Da hielt schon der nächste Verspannte und fuhr, nachdem ihm Modalitäten und Honorar wohl inakzeptabel erschienen, unbefriedigt davon. Beim letzten Zug aus der Pfeife - zugegeben er schmeckte streng und hatte meine Lunge noch nicht erreicht - entschwand sie mit dem nächsten Freier, um - wie gehabt - zehn Minuten später wieder auf und ab zu schlendern, als wäre nichts gschehen.
Als ich weiter fahre treffen sich unsere Blicke: Entsagung meinerseits (so will ich nicht!), Gleichgültigkeit ihrerseits (Du bist kein Kunde. Als ich zum ersten Mal in Aix war, verglich ich es spontan mit Heidelberg, wo ich damals lebte. Mit diesen Erinnerungen im Sinn, ließ ich mich im Verkehrswurm durch die breite Allee in die Gassen am Hang ziehen. Auf der Suche nach einem Parkplatz - fürderhin zentrales Problem dieser Reise - folgte ich einem lernenden Lenker in einem Fahrschulfahrzeug. Viel zu spät erkannte ich, daß der handliche Kleinwagen mich in immer engere Gäßchen und um viel zu knappe Ecken lockte und beim humpeln mit dem breiten Opel über überflüssige Bordsteine, hatte ich das Verkehrsgreenhorn schon aus den Augen verloren. Endlich, wieder in ordentlicher Spur im Kreisverkehr um den fontänenstrotzenden Brunnen, fand ich neben der Ausfahrt eines gebührenpflichtigen Parkareals eine Lücke, wie alle anderen vor mir, das säuglingshohe Parkverbotsschild zuparkend. Meine Tom-Hauser-Daunenjacke hatte ich der Ärmel entledigt und zur Weste gemacht und schlenderte, die Fototasche locker umgehängt, zum Prachtboulevard und fand ein Plätzchen auf einer Bank, vom spätnachmittaglichen Sonnenlicht gnädig erwärmt. Mit verspielter Lässigkeit gab ich mich den Wonnen beschaulichen Betrachtens vorüberflanierender Passanten hin und rauchte eine unvermeidliche Zigarette. Nach einem Schläfchen im Auto, die Sonne war bereits untergegangen und der Wind war zu kalt um ärmellos zu sein, wanderte ich erneut durch die Gassen. Nach ausgiebigem Studium diverser Menu-Preise entschied ich mich für ein kleines vietnamesisches Restaurant. Nach dem Händewaschen sah ich eine kleine, verhutzelte Asiatin in der Küche hantieren; vielleicht die Mutter des Kellners, der mir kurz darauf den duftenden Gemüseris servierte
Die Wasserblase an meiner rechten Ferse macht mich humpelnd. Ich fluchte auf meine eigene Dummheit, mit neuen Schuhen auf die Reise gegangen zu sein und hockte mich gequält an einen Tisch der unzähligen Cafes auf den Boulevard und las zum Pastice, der mir - leicht überteuert - mit einem Schälchen Oliven serviert wurde, in Rolf's "Fahndungsbuch".
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Es war Samstag geworden und es schien mir nun an der Zeit, Ralph und Evelyne aufzusuchen. Ralph war waschechter Schotte und lebte mit seiner französischen Frau schon eine Weile in Südfrankreich. Kennengelernt hatte ich die Beiden als Student auf einer Berlinreise für ausländische Studenten in den 70 ern.
Bei aller Muse, mit der ich mich am Morgen in ein kleines Cafe zum Frühstück getrollt hatte, gab es jetzt doch nur noch ein Ziel: Ein Häuschen im Grünen in Meeresnähe, Hunde, Hühner, Bienen und ein bisschen vertraute Gesellschaft. Jetzt quer über die Berge eilend, der Einladung einer Pferderanch und dem plötzlichen Verlangen nach einem kleinen Ritt nicht folgend, erblickte ich, hoch über Toulon, plötzlich das Meer. Endlich die Küste, endlich Südfrankreich.
Natürlich hatte ich die genaue Adresse des Paares zu Hause vergessen! Auch waren mehrere Telefonzellen völlig telefonbuchlos. In einer Bar am Ortseingang von La Londe wusste auch die Blonde hinter der Theke nichts mit "Maupas Vallon Tamery" anzufangen. Immerhin gab sie mir ein Telefonbuch, aber unter gewählten Nummer meldete sich niemand. Vielleicht war auf dem Acker? Schließlich kennt der Bauer keinen freien Samstag. Der Tankwart am anderen Ortsende wies dann völlig überzeugt in Richtung Berge und ich verstand gerade noch "Vaupas" und "a gauche". Irgendwann lies der Feldweg nur noch Schritttempo zu und ein Bauer, weitab im Feld seinen Traktor lenkend, winkte mich in die von mireingeschlagene Richtung weiter, als er mein Schreien verstand. Die Schlaglöcher fingen nun an es zu übertreiben und der von rechts kommende Bach gewährte gnädig eine Furt. Zwei glotzenden Kindern war auch mit freundlichster Ansprache kein Wort zu entlocken. Erwachsene weit und breit nicht zu sehen. Als der Feldweg bergauf auch noch auf Serpentine machte, war ich entschlossen, diese Strecke bis zum bitteren Ende zu fahren. Der Motor war inzwischen beachtlich temperiert und das unvermeidliche Wendemanöver machte seinem Namen alle Ehre, als die Böschung links vor mir bröckelte und langsam unterm Vorderrad wegrutschte. Puh, jetzt erst mal Pause: Tasse Tee mit heißem Wasser aus der Thermoskanne, Weißbrot, Käse. Vor mir das Tal mit kargem Baumbestand an den Hängen, da und dort Rebstöcke in kleinen Quadraten angelegt. Die Stille summte leise und roch exotisch. Der Himmel vibrierte in leichtem Blau, als erwartete er bald den Sommer. Als ich vorsichtig am Hang entlang zurückrollte, dorthin, wo zuvor die Kinder stramm standen, kam Ralph bergab geschlendert und begrüßte mich mit strahlendem Gesicht. Kurz darauf umarmte ich Evelyne, vorsichtig, um die Eier, die sie in der Schürze am sowieso schon dicken Bauch gesammelt hatte, nicht zu zerdrücken. Die Schwangerschaft schien ihr gut zu bekommen; ihre Figur wirkte kraftvoll und ihr Gesicht war von gesunder Röte. Ein Freund aus der Agrarschule Ralphs, er stellte sich als Noel vor, wie ich nun ebenfalls Gast auf dem kleinen Hof, gab mir freundlich die Hand. Voll Wut und Trauer erzählte mir Ralph, daß sie das Häuschen, das sie nun zwei Jahre bewohnt hatten, heute verlassen müssten. Der Besitzer, der es ihnen vertragslos überlassen hatte, hätte Eigenbedarf für seine Tochter und deren Familie geltend gemacht und zwar fristlos. Die Tatsache, daß Evelyne hochschwanger und in den nächsten Tagen wohl niederkommen würde, hätte ihn keinen Deut interessiert. Dementsprechend war die Stimmung doch ziemlich gedrückt; nicht ohne Stolz zeigte mir Ralph den selber gebauten Hühnerstall mit 50 Hennen und 2 Hähnen, seine zwölf Bienenstöcke und einen von ihm konstruierten und gebauten Sonnenkollektor, den er mit Gewinn an den Pachtherrn zu verkaufen hoffte...
Wir verstauten Teile ihrer beweglichen Habe auch in meinem Opel; selbst das Telefon wurde eingepackt, da es zuletzt auch von der neuen Mieterin ungefragt benutzt worden war, zu der auch die noch immer sprachlosen Kinder gehörten, die wohl auch noch nicht so recht wussten, wo sie wohnten. Im Schuppen nebenan, gleich neben den Bienenstöcken bastelten wir dann schweigend am Bau weiterer Stöcke, sägten Leisten zurecht, die der Anbringung von Zuckerwasserbehältern dienen sollten. Als wir anschließen zu Freunden der Beiden nach Hyeres losfuhren, packte mir Ralph noch drei Kilo feinen Honig in den Kofferraum.
Florence und Didier bewohnten eine Dreizimmerwohnung in einem Miethaus mit dem schönen Namen "Beauvallon". Sie waren dann doch etwas erstaunt, weil Ralph und Evelyne noch zwei weitere Gäste mitbrachten, Noel und mich. Dem etwas klein geratenen Spitz-Schäferhund-Mischling schien es nicht anders zu gehen, sein Gekläffe wurde nur noch durch das Greinen einer läufigen Katze verstärkt, die leidend durch die Stube robbte. Die Situation war für mich nun doch prickelnd: Keiner - außer Ralph und Evelyne - sprach deutsch oder Englisch und so folgte ich den wohlwollenden Gesten und ließ mich nieder. Als dann Didier auch noch einen Selbsgerollten rüberreichte lehnte ich mich entspannt zurück und lauschte der mir unverständlichen Unterhaltung. Als dann nach einem einfachen, aber leckeren Abendbrot, bestehend aus einer würzigen Gemüsesuppe, Brot Käse und Tee Noel zur Gitarre griff, war der Abend perfekt. Beindruckt von den exzellent dargebotenen, wohl derzeit beliebten Chansons, fühlte ich mich wohl und spendierte eine Nachtischpfeife, die hauptsächlich zwischen mir und Didier hin und her wechselte. Später, als Noel und ich uns bereits in den Schlafsäcken in dem kleinen Zimmer mit den jungen Trieben auf der Fensterbank, befanden und noch eine Gute-Nacht-Zigarette rauchten, versuchte ich dann doch noch etwas in Französisch zu staksen: Wie sehr ich, sonst ja ein ausgesprochen verbal-kommunikativer Mensch, unter meiner stummen Zurückhaltung litt. Seinen Worten, deren Inhalt ich seltsamerweise verstand, entnahm ich, daß es ihm wohl ähnlich erginge, wäre er an meiner Stelle.
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Sonntag in Hyeres. Sonntag? Werktag! Ich saß vor einer Bar auf dem kleinen Marktplatz der am Hang liegenden Altstadt und trank meinen Morgenkaffee.Überall Stände mit frischem Obst und Gemüse, Fischhändler, Kleidung, Töpferwaren und anderem handwerklichen Schnickschnack. Es herrschte Gedränge. Das noch ofenwarme Baguette unter dem Arm eilten die Franzosen zu weiteren einkäufen. Zwischen den Buden schnürten Hunde und ein alter Mann mit in das Genick zurückgeschobenem Hut griff nach der aus der Sakkotasche herausragenden Zeitung. Vor einem Laden hatte ein Halbwüchsiger sein knatterndes Moped abgestellt, das, als sei ihm das Geräusch selber lästig, plötzlich verstummte. Mit sanfter Gewalt zog eine Mutter ihr greinendes Kind von den Spielsachen weg, die ein bunter Souvenierladen feilbot. Eine ander hatte sorglos ihren Säugling im Kinderwagen zurückgelassen, mitten auf der Gasse, in die gerade ein PKW eingebogen war und in seinem Fortkommen behindert wurde. Gnädig zog ein Passant den Kinderwagen zur Seite und Fahr winkte dankbar. An einer Evke standen dunkelhäutige, orientalisch anmutende Männer, vielleicht Gastarbeiter aus den Ex-Kolonien, rauchten und unterhielten sich. Beim Sprechen zuckten die Kippen in den schnurrbartgesäumten Mundwinkeln. Als ich meine zweite Tasse Milchkaffee ausgetrunken hatte, hätte ich am liebsten den exotisch gekleideten Afrikaner am Stand gegenüber fotografiert, traute mich aber nicht. Als ich später von einem unverfänglichen Fotospaziergang aus den oberen Gassen auf den Platz zurückkehrte, war es vorbei mit dem bunten Treiben: Ein altertümliches Müllfahrzeug fraß mit Resten gefüllte Gemüsekisten, pralle Plastiksäcke und leere Kartons und bewegte sich grumelnd, vorbei an den nun schon geschlossenen Ladengeschäften, die Gasse hinunter. Die Turmuhr der mittelalterlichen Kirche zeigte 13 Uhr und ich machte mich auf den Weg. Meine französischen Freunde waren, wie es sich hierzulande wohl auch gehörte, bei den jeweiligen Eltern zum Mittagessen angesagt. Also machte ich mich auf den Weg zum Hafen, wo ich ein akzeptables Restaurant fand und mir, weil Sonntag, ein ordentliches Menu mit Fisch und Wein gönnte. Am nahegelegenen Strand, in eine Decke gewickelt, beobachtete ich träge die mit Neoprenanzügen bekleideten Surfer und nicke irgendwann ein.
Nach dem Abendessen saßen wir dann noch gemütlich im kleinen Wohnzimmer und schmauchten was. In Reunion, wo er 18 Jahre lang gelebt hätte, würden die Hanfzüchter mit zahlreichen Sorten untereinander wetteifern. Klammheimlich stellte ich mir vor, daß die von ihm geschenkten Samenkörner auch auf badischem Boden erfolgreich sein könnten.
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Eigentlich wollte Ralph heute bei einem Weinbauern arbeiten gehen. Zusammen mit zwei marrokanischen Gastarbeitern, dem Patron und seinem Bruder hatten sie in vergangenen Woche bereits begonnen, neue Rebschößlinge zu pflanzen. Diese sollten bis zum Wochenende wegen fortgeschrittenen Frühlings alle in der Erde sein. Aber als er mit Evelyne vom Arzt kam, der leichte Komplikationen festgestellt hatte, weil das Baby wohl noch nicht die erforderliche Geburtslage (Kopf nach unten) eingenommen hatte, zog er es eher vor, Evelyne bei unserer Notunterkunft zurückzulassen und in "Maupas" nach dem Rechten zu sehen.
Also fuhren wir wieder in die Pampa am Berg. Neben den paar Eiern, die er angeheimnisvollen Stellen im Hühnerstall fand, galt seine Aufmerksamkeit vor allen Dingen den Bienenstöcken. Einige davon hatten derzeit noch keine Königin, was zu einer erhöhten Produktion des begehrten "Gelee Royal" geführt hatte, in immenhafter Erwartung einer neuen Chefin. Darüber hinaus war es aber auch wichtig, die Königinnen anderer Stöcke zu "entthronen", um verschiedene Völker miteinander kreuzen zu können, was zu einer Verbesserung der Honigproduktion führen könnte. Erkennbar waren die Königinnen an ihrem längeren Unterleib; starke Königinnen könne man für viel Geld kaufen und in der Hoffnung, das neue Volk nehme sie an, gezielt einsetzen. Da stand ich nun, Kopf und Schultern durch eine durchsichtige Imkerhaube geschützt, und blickte nicht mehr durch. Um mich herum wuselte und summte es und die einzelnen Wabenreihen glichen sich wie die zuvor eingesammelten Eier. Angst vor Stichen hatte ich keine, aber warum so viel Aufwand? Konnte man die Bienen nicht einfach machen lassen? Honig kam allemal dabei heraus! Mein Verständnis für Freud und Leid eines Imkers wahr wohl begrenzt, da ich zu wenig von der Sache verstand. Um ein Uhr standen wir endlich beim Weinbauern auf dem Feld. Vor uns ein drei Fußballfelder großes Ackerareal, gemustert durch lange Reihen knöchelhoher Drähte, die in regelmäßigen Abständen einen Knoten erkennen ließen. Im Hand umdrehen hielt ich ein langes Flacheisen, das aussah wie Prinz Eisenherz' Schwert ohne Griff, in der Hand und stand vor einem der Knoten. Der Bauer erklärte mir mit Hilfe von Ralph's Dolmetscherkünsten, wie tief ich an den Knoten in die Erde zu stechen hätte und wie der Rebentrieb dann in der Erde zu versenken sei und durch einen weitern Erdschub mit dem Eisen gefestigt werde. Routiniert bohrte ich mich von Knoten zu Knoten; vornübergebeugt schob ich mein friedliches Schwert in die Erde (Endlich Schwerter zu Pflugscharen gemacht), versenkte Trieb um Trieb in der lockeren Krume, die vermutlich zuvor mit Traktor und Egge gelockert worden war. Die Sonne schien harmlos, traf mich dennoch ganzheitlich und so war ich dankbar, daß mir Ralph alsbald einen Wasserkrug reichte, aus der ich ein paar kräftige Schlucke nahm. Durch das kontinuierliche Bücken war ich doch ein wenig ins Schwitzen gekommen und zu allem Überfluss platzte noch seitlich ein Knopf weg an der bis dahin tadellos sitzenden Latzhose. Etwas desavouiert nahm ich das nun an der Hüfte flatternde Beinkleid hin und arbeitete Reihe um Reihe, den Draht am Ende immer wieder erneut versetztend und mit einer flaschenzugartigen Rätsche wieder spannend. Schein bar war mein Tun dem Bauern angenehm aufgefallen und so ließ er mich durch Ralph fragen, ob ich wohl morgen wieder kommen könnte, gegen Bezahlung, verstünde sich. Ich wollte den Tag nicht vor dem Abend loben und bat um Bedenkzeit bis zum Feierabend, schließlich hatte ich ja Ferien. Um sechs Uhr ließen wir die Schwerter fallen und mir ging es saugut. Schon lange hatte ich nicht mehr Geld mit den Händen verdient; ich signalisierte dem Bauern mit einem fröhlichen "Demain!", daß ich morgen wieder käme. Ralph nahm mich mit in den seitlich des Bauernhauses gelegenen Schuppens, in dem wir eine geräumige Wohnküche vorfanden. Die marrokanischen Kollegen hatten inzwischen einen kräftigen Tee zubereitet, den sie aus einer filigranen Schnabelkanne aus luftiger Höhe in kleine Teegläser fallen ließen, in denen sich das Licht der untergehenden Sonne brach. Wohlig erschöpft ließ ich mich auf die zerschlissene Couch sinken und rauchte eine Zigarette, während Ralph nach einer ausgiebigen Dusche den resopalbeschichteten Tisch deckte. Bei Brot und Käse saßen wir dann nur noch zu dritt; einer der Kollegen war bereits zu seinem nächsten Job in einem Restaurant geeilt, schließlich sei man hier wegen Arbeit und Geld verdienen um sich bald in der Heimat eine Familie leisten zu können. Nach dem Abendbrot bei Florence und Didier, ich hatte für alle etwas aus der Form geratene Gemüsepfannkuchen zubereitet, saßen wir dann noch vor dem nostalgischen Schwarz-Weiß-Fernseher und sahen Nachrichten und nach der Werbung einen ulkigen Krimi, dessen Handlung sogar ich folgen konnte und tranken Tee dazu. Als ich dann schon halb im Schlafsack war, hatte ich dann noch Muse, den verflixten Knopf wieder anzunähen, ich wollte ja morgen wieder in ordentlicher Kleidung am Arbeitsplatz erscheinen.
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Pünktlich um acht Uhr erscheinen Raph und ich beim Weinbauern. Die Marrokaner arbeiteten im Gewächshaus und fertigten Blumensträuße, die für den Transport nach Paris bestimmt waren. Auch die Rebstocksetzlinge waren ausgegangen und so drückte mir der Bauer eine Gartenschere in die Hand und zeigte mir wieviel und was ich an den Trieben abzuschneiden hätte, die in drahtumwundenen Bündeln vor mir lagen. Hurtig, aufkommende Kastrationsvisionen verdrängend, ging ich ans Werk. Schnitt um Schnitt, erneut gebündelt und mit der Wurzelseite in Wasserbottichen eingestellt, hatte ich bald wieder genügend Triebe vorbereitet, um die Arbeit auf dem Feld noch vor der Mittagspause fortzusetzen. Gelassen bohrte ich mit dem Schwert wieder Löcher in die Erde, wohltuende Monotonie, den Kopf frei zum Denken... Zu Beginn der einstündigen Mittagspause lud mich der eine meiner marrokanischen Kollegen freundlich ein, doch an seinem leckeren Couscous mit Schafshirn teilzuhaben. Ich lehnte ebenso freundlich ab, probierte lieber von Ralphs Dosenspinat und verschlang drei unverfängliche Joghurts, danach für den Rest der Pause ein Nickerchen vorziehend. Am Nachmittag entnahm ich den zufriedenen Gesten des Bauern, daß er mich morgen gerne wieder sehen würde. Ich beriet mich mit Ralph; mein Gaststatus bei Florence und Didier wollte ich nicht weiter aufrecht erhalten, eingedenk des arabischen Sprichworts "Der Gast und der Fisch stinken am dritten Tag". Ich entschied mich zur Weiterreise, obwohl die Möglichkeit bestand, auch beim Bauern in einer Unterkunft wohnen zu können. Stolz nahm ich das Kuvert mit meinem Lohn entgegen, obendrauf noch zwei Flaschen Wein und schied mit dem guten Gefühl, hier jederzeit wieder als Arbeiter willkommen zu sein. Abends, nach dem Essen tat ich mich dann doch wieder schwer, der Konversation meiner Gastgeber und ihrer Gesellschaft zu folgen und kündigte meinen Abschied für den nächsten Morgen an. Ich war froh meine Sprachlosigkeit gegen die stumme Zwiesprache mit mir selbst eintauschen zu können - allein, nur mir selbst gegenüber verantwortlich, suchte ich wieder die Solitude.
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Nach einer herzlichen Verabschiedung von meinen Gastgebern und deren Gastgebern fand, ich zwischen Palmen bergab fahrend, die Küstenhauptstraße. Ich entschied mich nach links, Richtung Italien zu fahren. Kurze Zeit fuhr Ralph noch in seiner dem TÜV spottenden Diane hinter mir her, er töffte nach La Londe zu den Reben. Hupend und blinkend überholte mich ein nagelneuer Benz mit Freiburger Kennzeichen, besetzt mit vier jungen Leuten, die fröhlich mir badischem Landsmann zuwinkten. Respekt vor dem Papa, dachte ich, der seinen Sprösslingen die Nobelkarrosse eben mal für einen Osterurlaub lieh. Eine Woche war ich nun schon unterwegs und noch drei Wochen prickelnder Erwartung lagen noch vor mir. Es war noch früh am Morgen und die Sonne hatte ein leichtes Spiel gegen die dünne Wolkenecke über Berg und Meer; irgendwie vertraut erschienen mir die rebenbewachsenen Hänge. Hinter La Londe verpasste ich die Abzweigung, die zu der Straße führte, die weiterhin der Küste folgte. Ich fand mich plötzlich zwischen Wiesen und Feldern wieder; Baumgruppen verdichteten sich zu kleinen Waldgehölzen. Immer wieder wiesen Schilder, Vente de vin - 500 m a gauche, zu steinernen Bauernhäusern hin, die schroff gemeißelt anmuteten. Wie der Straßenbelag; er war wohl seit längerem nicht mehr repariert worden und die Schlaglöcher zwangen zu vorsichtigem Fahren. Kurz vor St. Tropez, bei Ramatuelle, erblickte ich endlich wieder das Meer, kochte mir eine Tee und nahm ein zweites Frühstück. Wie nun weiter? Der Autoatlas empfahl: Frejus, Cannes, Nice, Monaco...Italien! Also erstmal nach Cannes, Zaungast sein wollen bei den Reichen und Superreichen, die es sich angeblich leisten konnten, ihre Existenz durch Müßiggang zu rechtfertigen. Müßig auch meine Geschwindigkeit; dann wieder den Eiligeren angepasst, folgte ich der Straße von Ort zu Ort, Bucht um Bucht. Zwischen den Städtchen Anwesen mit deutlichen Hinweisschildern an den sie schützenden Zäunen, daß fast schon das Lesen als Verletzung der Privatsphäre ausgelegt werden könnte. An den wenigen Parkplätzen zum Meer hin mannshohe Eisenbügel an den Einfahrten, um Wohnmobilen den Zugang unmöglich zu machen, zelten sowieso verboten. Nur gelegentlich Strandabschnitte "au public". Überflüssig hier zu verweilen; alles gehört schon irgendwem und sei es nur der Öffentlichkeit. In St. Raphael besuchte ich den Yachthafen, rauchte eine Erinnerungszigarette an den Segeltörn mit Freunden, der mich letztes Jahr hierher führte. Ein paar Kilometer weiter entdeckte ich auf einer Klippe zwei VW-Busse, die den Eisenbügel durch eine Lücke im Zaun umfahren konnten und parkte mich daneben. Schroff zerklüftet fiel der Felsen gut dreissig Meter zum Wasser hin ab. Zwischen dem natürlichen Gestein fiel mir die Ruine eines Gebäudes auf, das wohl mal ein Haus oder auch ein Seebunker hätte sein können. Außer der Betondecke, die den jetzt unzugänglichen Keller überspannte, war nicht viel übrig geblieben, aber die Aussicht auf das offene Meer war wunderschön. Weniger schön war der überall verstreute Abfall: Scherben, Konservendosen, Plastikflaschen, Styropor - alles was ewig hält - stellenweise sogar zu kleinen Haufen aufgetürmt. War ich übersensibilisiert in meinem städtischen Wertstoff- und Glascontainerbewußtsein? Oder war ich nur intolerant gegenüber den Menschen hier, die sich ja schließlich auch von ihren Abfällen befreien mussten; hatte der Strand schon kapituliert vor der Menschenflut? Dennoch fand ich an einer grasbewachsenen Stelle ein sauberes Plätzchen für meine Iso-Matte, nahm mein Buch "Phantastische Welten" zur Hand, dabei immer wieder nach den Möven schauend, die sich kreischend von der aufsteigenden Thermik entlang der Klippe in das manifeste Blau des Himmels trugen ließen. In Cannes fand ich dann doch völlig überrascht einen "legalen" Parkplatz; allerdings an einer Parkuhr, die ich geflissentlich übersah. Meine Erwartungen an diese populäre Stadt waren allerdings nicht allzu hoch: Kultur wollte ich auf dieser Reise nicht überbewerten. Also schlenderte ich am von Palmen gesäumten Strandboulevard entlang, skeptisch die schneeweißen Luxushotels und exclusiven Boutiquen hinnehmend. Die eleganten Fassaden wirkten eher abweisend, vor allem wegen der geschlossen Läden hinter den Spanischen Balkonen, wohl wegen der Sonneneinstrahlung oder Abwesenheit der Bewohner. Stuckverzierte Simse, marmorne Säulenportale, Alabasterspringbrunnen in den Vorgärten durch die breite Zufahrten führten. Ich schielte nach den Gesichtern, die den teuren Limousinen entstiegen, vielleicht war ein Promi zu erkennen? Vor einem feinen Restaurant studierte ich die handschriftliche Speisenkarte in einem schlichten Glaskasten und las: Menu für 250 FFoder 350 FF; einzelne Gerichte so ab 150 FF, Hunger hatte ich noch keinen. Vor den Modegeschäfte glänzten blanke Messingschilder, deren Beschriftung sich über den breiten Schaufensterfronten in goldenen Lettern wiederholten. An mir herabblickend nahm ich meine Tom-Hauser-Jacke, meine verwaschene Jogginghose und meine - immerhin - neuen Turnschuhe wahr, deren rechter immer noch drückte und hinkte weiter. Hinter der gläsernen Fassade eines Autosalons bewunderte ich Rolls Royce, Maserati, selbstverständlich Mercedes-Benz, sogar einen Ford Baujahr 1920 könnte man käuflich erwerben. Der reale Sound kamm allerdings von der Straße, wo Renaults, Simcas und Citroens am Bordstein entlang lawinerten. Irgendwann zog es mich wieder zum Strand hin, ich überquerte die Straße und schlenderte an Souvenierständen und Zeitungskiosken vorbei. Hinter niedrigen Mauern zum Wasser hin waren die sonnenbeschirmten Tischgruppen der Strandrestaurants wie Festungen ausgebaut; dazwischen kaum Platz für konsumfreie Zonen, alles sauber, weil üppig Müllsäcke aufgestellt, Hunde verboten. Da und dort saßen weisshaarige Senioren mit Sonnenhüten auf ihre Stöcke gestützt auf den niedrigen Mauersimsen und blickten schweigend aufs Meer. Eine Gruppe junger Chlochards, ihre Habe in Plastiktüten mit sich führend, spielten mit einem schwanzwedelnden Hündchen. Da und dort ein Rucksacktourist, die Kamera wieder vorsichtig in einem Gepäckfach verstauend zwischen den eilig dem Feierabend entgegenlaufenden Passanten, Kinderwagen schiebende Mütter mit Einkäufen in Tüten an das Gefährt gehängt, Diplomatenkoffer in den gepflegten Händen Erfolg ausstrahlender Krawattenträger, stöckelnde junge Frauen, bauschige Beutel an den Schultern baumelnd. Ich wanderte wieder zurück vors Casino, wo große Plakatwände fimfestivalhaftes ankündigten - über Glas und Beton Leuchtreklamen. Vor einer Tiefgarage pulsierte ein Springbrunnen, gekachelt wie eines Neureichen Badezimmer, von einem antiken Karusell dahinter nur wenig abgemildert. Auf einem freundlichen Schild vor einer überdachten Rundbühne wirbt die Stadt Cannes um Aufmerksamkeit für"junge Talente", daneben drängeln sich die Straßencafes auf die Bürgersteige. Ich ließ meinen Blick über die Sitzenden schweifen: Vielleicht erkannte ich jemanden wie ich, müßig vor einer schnell leer gewordenen Kaffeetasse sitzend? Nein, nur da ein gut aussehender Typ, dort zwei attraktive Frauen, drei elegante Paare - beim Lachen blitzten die schneeweißen Zähne in den bronzefarbenen Gesichtern. Vor einem in roten Kunststoff gehaltenen Bar-Tabac-Cafe ließ ich mich dann doch noch nieder, bestellte une pastice statt un pastice; der typisch schnauzbärtige Kellner nahms gelassen hin. Schwungvoll balancierte er meinen Drink vom Tablett auf den Tisch, nicht ohne gleichzeitig mit dem Schwammtuch meinen Tisch zu wischen, alles in einer Bewegung. Wie machen die das nur? Das Wechselgeld zauberte er aus einem seiner sechs Westentaschen daneben, vermutlich mit geschlossenen Augen. Nachdem es dunkel geworden war, beschloss ich, etwas essen zu gehen - preisgünstig, wenn möglich. Vor einem "Quick-Restaurant" lockte ein Schild mit Steak haché, warum nicht? Drinnen saß schon eine deutsche Familie an der Imbiss-Theke und Vater alberte auf deutsch mit dem Kellner herum. Der machte gute Mine, die Bestellungen verstand er allemal - Geschäft ist Geschäft. Brav mampfte die große Tochter ihr Schaschlik, während Mama sich an einer großen Portion Spaghetti Bolognese gütlich tat. Als ich fertig gegessen hatte, ließ ich meine Zeche, reichlich bemessen, neben dem Teller liegen und verdrückte mich. So musste es auch der Kellner empfunden haben, denn nach ca. 100 m holte er mich ein, ob ich nicht bezahlen wollte? Ich stotterte was von "sur le table", ging aber dann doch zur Sicherheit mit ihm noch einmal zurück. Mit einem unangemessen kurzen "Bien" strich er das Geld ein und verschwand grußlos hinter seiner Theke. Etwas düpiert trottete ich zurück zum Opel. Zwischen Schienen und Straße wollte ich dann doch nicht übernachten, lieber raus aus dieser Stadt und ein lauschiges Plätzchen auf einem einsam gelegenen Parkplatz im Grünen finden. Von wegen. Übergangslos sind die Ansiedlungen aneinandergekettet, zwischen den gelben Scheinwerfern beleuchten auch weiße Strahlen die Fahrbahn - Europa hat Osterferien. In Antibes folgte ich dem Hinweisschild nach Cap d'Antibes und parke an einer Kreuzung vor einem hell erleuchteten Straßencafé. Ein Bier und einen Kaffee auf die Nacht ist noch drin. An den Tischen schwatzen buntgemischte Feriengäste, Cocktails, Gezapftes und große Eisbecher mit Sahne wurden aufgetragen - vielleicht erübrigt sich noch eine lockere Plauderei oder gar ein kleiner Flirt? Ich schlürfte mein Bier und las provozierend in meinem Buch und niemand nahm davon Notiz. Die mich umgebenden Grüppchen waren sich wohl selbst genug. Neben mir übersetzte ein American Daddy seiner Frau und den gut gereiften Töchtern die Getränkekarte und man amüsieret sich über die fremde Sprache, den netten Kellner geflissentlich übersehend, der beim Bedienen die Mädels zaghaft anzubaggern versuchte. Also gut, dann halt nicht. Später, kurz hinter der Spitze des Cap's, fand ich dann doch noch ein akzeptables Plätzchen zwischen surfbrettbepackten, deutschen Wohnmobilen und rollte mich auf der Rückbank in meinen Schlafsack - my castle is my Opel!
9
Am nächsten Morgen verweigerte man mir den Zugang zu den Toiletten des naheliegenden Strandcafés, weil ich nichts konsumieren wollte, dann erst recht nicht. In einer kleinen Konditorei ein paar Straßen weiter nahm ich dann doch einen Kaffee, verschwand noch vor dem Bezahlen aufs Klo und fuhr frisch geputzt weiter. Bei allen Dächern von Nizza: T'schuldigung, wo kein Parkplatz, da kein Halten! Monaco rief mich, o fürstliches Überbleibsel zwischen den schnöden Demokratien, du glitzerndes Stelldichein mit Extravagance, Oase im Meer der Alltäglichkeit.