Sri Lanka - nach 26 Jahren Krieg
Ein Reisebericht von Samuel Degen

Glück gehabt. Monate im voraus geplant, war es nun absoluter Zufall, dass just fünf Tage vor unserem Abflug am 22.05.09 nach Sri Lanka von der dortigen Regierung die 26 Jahre dauernde militärische Auseinandersetzung als beendet erklärt wurde. So lange bekriegte sich die offizielle singalesische Armee mit der tamilischen LTTE mit unzähligen Opfern und schlimmsten Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten.
Unsere Fototour war eigentlich schon geplant, natürlich ohne Besuch der kritischen Gebiete im Norden und Osten der Insel Sri Lanka, die in etwa die Größe von Bayern hat.
Allzu verlockend war nun die unerwartete Chance, die Traumstrände des Ostens zu besuchen und zu fotografieren. Zumal an der uns bereits durch Reisen in 1994 sowie 2007 bestens bekannten Süd- und Westküste im Sommer Regenzeit herrscht, im Osten hingegen das türkisblaue Wasser und ein stahlblauer Himmel verlockend warten.
Unserer Fahrer Rodrigo, der uns routiniert und zuverlässig bereits 2007 mit seinem Toyota Minivan auf der klassichen Route Negombo – Mihintale – Anuradhapura - Polonnaruwa – Sigiriya – Dambulla – Kandy – Nuwara Elya – Unawatuna zu den Top Foto Locations chauffierte, war von unserem nun spontanen Plan, auch an die Ostküste zu fahren, gleich angetan. Wieder Glück gehabt, da die meisten seiner Fahrerkollegen der Widrigkeiten wegen dies eher verhalten sehen.
Also umgeplant, die Ostküste als neues Ziel stand.
Trincomale, von den Einheimischen einfach Trinco genannt oder die weit südlicher gelegene Arugam Bay? Obwohl nach Trinco eine nun nagelneue Straße führt, entschieden wir uns für die abgelegenere Arugam Bay. Des Fred wegen, korrekt Dr. Fred Miller. Fred, die ausgesprochene Ostküstenlegende, betreibt dort seit 1977 das Siam View Hotel, einfach SVH.
Und die beiden Orte zu verbinden war uns dann doch zu weit. Zumal bei einer Fahrt von Trinco nach Abay die Küstenstraße über Batticaloa lang dann doch zu viele militärische Checkpoints zu viel Zeit kosten.
Dank der Chinesen ist alles halb so schlimm, baut doch gerade eine chinesische Firma die Straße nach in den Osten nach Pottuvil aus. Und die Chinesen sind richtig schnell, werden wir wenig später von Fred erfahren. 2/3 der Strecke ist bereits fertig. Dort rollte dann unser Toyota mit über 60 anstatt der früher nur möglichen 30 kmh. Ob das dem geplanten Ostküstentourismus oder dem Militär dient, kann ich nicht sagen. Nach Trinco wurde ja auch eine nagelneue Straße gebaut. Wohl für beides.
Ist mir aber egal, wir wollen in den Osten, und das möglichst flott. Die ständigen Straßensperren sind lästig, die blutjungen Boys in ihrem martialischen Militäroutfit mit den Knarren im Anschlag sind halt neugierig. Aber immer korrekt und überwiegend freundlich. Doch leider irgendwie kein Gefühl von Frieden. Aber gut zu wissen, dass die Soldiers die Anweisung haben, die Touristen an die Ostküste zwar zu checken, aber dann doch durchzuwinken.
Nur sollte man schon die Kamera in der Tasche lassen, was mir dann doch sehr schwergefallen ist. Solche martialischen Militärszenarien hat man ja nicht alle Tage vor der Linse.
Das eine oder andere verdeckte Foto dieser Krieger ist mir dann doch geglückt. Wirklich nicht zur Nachahmung empfohlen, die Jungs verstehen da keinen Spaß.
Endlich da. So über 4 Stunden hat die Fahrt von Ella aus doch gedauert. Dank roter Telefonzelle vor dem Haus war das SVH = Siam View Hotel in KaputtoVille, wie Fred es weniger liebevoll nennt, auch gar nicht zu verfehlen.
Fred ist gottseidank da und empfängt uns freundlich. Ein lässiger und ewig junggebliebener Altfreak, so wie ich sie mag. Das tut gut, seine Ansprache ist klar und freundschaftlich. Das bleibt haften. Tage später in Tissamaharama tauft deshalb unsere 8-jährige Carlotta respektlos den Frosch, den sie im Pool gefunden hatte, spontan und unbeirrt auch Dr. Miller. Aber so sind Kinder nun mal.
Aber erst mal die Koffer aufs Zimmer und dann gleich ab an den Beach. Für Gespräche beim Bier ist eh der Abend geeigneter. Aber dazu später.
Whow. So muss "mein" Beach sein. Aalglatte Fuertestrände mag ich gar nicht. Hier aber liegen bunte Fischerboote dicht an dicht. Jungs spielen Fußball, viele Leute baden im Meer.
Surfers Paradise nennt man auch die Arugam Bay, die von der Surferszene unter die Top 10 der Surfspots weltweit gelistet ist. Ja, weiter oben am sonnenüberfluteten Surfpoint sehe ich junge Leute auf den weißen Wellenkämmen mit ihren Brettern tanzen. Herrlich anzuschauen.
Leider bin ich diese Art von Sport nie angegangen, aber auch einfach nur zuzuschauen macht auch Spaß.
Uns zieht es nun erst mal hinein ins Wasser. Nach verschwitzter Anreise ins 29 Grad warme türkisfarbene Nass, das ist jetzt dringend angesagt. Hatten wir zuvor an der Westküste, da dort Regenzeit herrscht, hohe, gefährliche Wellen und tobende See, so spielt hier sanft das Wasser gegen den weißen Strand. Die Kids jauchzen, endlich Fun im Wasser.
Dann aber doch gleich wieder raus, den Foto ausgepackt und den Strand lang gegangen. Ich kann es halt nicht lassen, immer nur das eine.
Und abends beim Bier laufen auf Freds Terrasse im SVH auf Riesenleinwand die Surfer Filme, die die Szene feiert.
Dieses Siam View Hotel war einst das größte Hotel der Ostküste, eine stolze Anlage mit 26 Zimmern in tropischem Garten. Bis zum 26.12.2004. Der Tag, an dem die Welle Fred sein Lebenswerk nahm. Der Tsunami kam unerwartet, schlug aber umso heftiger mit voller Wucht in das Hotel ein. Der Gärtner war aber dieses mal nicht der Mörder, nein, ausgerechnet er war es, der allen der zahlreichen Gäste das Leben rettete. Obwohl die meisten der Gäste der vorangegangenen Vollmond Party wegen gerade erst ins Bett gegangen waren, trommelte er in der Früh alle gleich wieder aus dem Bett. Er hatte zuvor das verschwundene Meer bemerkt und ahnte Fürchterliches.
So versammelte sich das bunte Völkchen unfreiwillig auf der Terrasse im 1. OG des Haupthauses. Kurz darauf schlugen unter ihnen die Fischerboote vom Strand wie Torpedos mit 300 Stundenkilometern in die vielen strandnäheren Bungalows im Garten und dann in die Wände des Erdgeschosses vom Haupthaus ein. Daneben gab es zahlreiche Tote, im SVH nicht.
Die stattlichen internationalen Hilfsgelder, die danach ins Land strömten, gingen leider gänzlich an Fred mit seinem SVH vorbei. Als „Ausländer“ mit deutsch-englischen Wurzeln war Fred als Betroffener nicht auf der Empfängerliste. Andere, meist weitaus weniger engagierte Leute, bekamen alleinig den warmen finanziellen Segen. Oder das Geld verschwand gleich im Regierungssumpf.
Nachdem Unmengen von Schutt in Schwerstarbeit weggeräumt waren, konnte er gerade mal 4 Zimmer im Haupthaus wieder aufbauen und einrichten. Und gleich wieder ein herber Rückschlag; der Krieg zeigte im Osten danach seine ganze Fratze, die Gäste blieben nun komplett aus.
Wären nicht helfende Freunde sowie der Rückhalt seiner Familie gewesen, hätte das längst das definitive Aus bedeutet. Auch gerade deswegen die Reise zu ihm.
Fred nahm sich die Tage unseres Besuches die Zeit, um uns auch die verschwiegenen Perlen seines Reviers rings um die Arugam Bay zu zeigen, die die Bezeichnung Traumstrände ebenfalls wirklich verdient haben :
So steht der Pottuvil Point z.B. den Top Seychellenstränden in nichts nach, jedenfalls habe ich selbst auf La Dique keine schöneren gefunden. Türkisblaues Wasser, eingefasst in eine herrliche Felsenkulisse, alles vom Feinsten. Der könnte es locker unter die Top 10 weltweit schaffen. Der Beach ist erschlossen, ein schönes Restaurant mit großer schattiger Terrasse wartet auf Gäste. Nur wenige Fahrminuten nördlich der Arugam Bay gelegen. Aber ein Fahrzeug benötigt man schon. Aber da gibt es ja auch noch Freds musealen VW Bus oder sein Moped. Und wenn wieder mehr Gäste kommen gibt es sicherlich bald ein Moped zu leihen. Oder aber per Fahrrad? Da müsste Fred mehr wissen, ich selbst bin da echt zu faul und habe deshalb kein Auge für exaktere Distanzen. Er lebt ja immerhin schon über 30 Jahre hier, überlebte die 26 Jahre des Krieges sowie den ebenso mörderischen Tsunami inmitten des umkämpften Ostens.
Schon die Fahrt von der Arugam Bay zum Pottuvil Point ist anders, wie von Sri Lanka gewohnt. Das zu durchfahrende Dorf Pottuvil mutet wie eines im mittleren Osten an. Das mag an den vielen Ziegen auf der Straße liegen, dem allgegenwärtig herumliegenden Plastikabfall oder auch an der Kleidung der muslimischen Einwohner. Manche, vermutlich ganz hübsche, verschleierte Frau steht am staubigen Straßenrand.
Die Männer tragen weiße Käppis und oft wallende Gewänder. Diese Leute leben in einer eigenen Welt, nach eigenen Regeln. Das kenne ich seit Jahren von Malaysia oder Indonesien. Uns gegenüber sind die Leute nicht ablehnend, aber schon irgendwie distanziert.
Und dann erst der Panama Point. Der südlichste Ort der Arugam Region, die holprige Straße führt ab dort nicht mehr weiter. Nach 1/2 Stunde Rüttelfahrt erreichen wir aber bereits Panama. Nein, nicht in Südamerika sondern in Südost Sri Lanka. Endstation, von hier geht es nicht mehr weiter, nur noch zurück.
Panama ist ein kleines verschlafenes Nest, ein singalesisches. Eine große Ausnahme, ist der Osten von Sri Lanka doch überwiegend tamilisch. Und bitterarm dazu. Aber blitzesauber ist es, das Panama in Sri Lanka.
Und Glück hat Panama gehabt, richtig viel Glück. Zwei parallele Sanddünenkämme liegen zwischen dem Dorf und dem Meer. Und dort blieben auch am 26.12.2004, am Tage des tödlichen Tsunamis, die mörderischen Wellen weitgehend hängen, so dass das Dorf nicht, wie so viele andere hier im Osten, einfach unterging.
Der Naturweg zum Panama Point führt durch die besagten Sanddünen. Gottseidank ist unser altgedienter Fahrer Rodrigo nicht abergläubisch. Es muss nun nämlich zu guter letzt ein großer Friedhof durchfahren werden. Das macht wirklich nicht jeder, vor allem an diesem Ende der Welt. Fred erzählt, dass fast alle anderen Fahrer, die er bislang hierher gebracht hatte, an dieser Stelle nicht mehr weitergefahren sind sondern sofort umgedreht hätten - Rodrigo eben nicht. Somit haben auch wir Glück. Vielleicht wirkt aber bei Rodrigo einfach auch nur der Arrak vom Vorabend noch nach, wer weiß. Oder der Jonny Walker ist noch nicht gegangen, den wir ihm vom Airport mitgebracht hatten.
Durch die gute Mischung von Arrak mit seinem ständigen Betelnußgekaue steht er somit meist eh über so profanen Dingen wie dem bischen Friedhof hier, dies braucht so ein ausgebuffter Profifahrer wie wir Warmduscher unseren Milchkaffee. Ein herrliches Panorama eröffnet sich uns.
Danach spricht aber Rodrigo nicht mehr mit mir, eisiges Schweigen. Seinen Augen sehe ich den Vorwurf an. Wie oft hatte er mich bei der stundenlangen Fahrt ab Ella an die Ostküste zur Arugam Bay doch gebeten, auf seinen Toyota Minivan Rücksicht zu nehmen. Schlecht seien die Straßen dort im wilden Osten, tief die Schlaglöcher. Ein Schaden an seinem Minivan - undenkbar. Zudem keine Werkstatt weit und breit in diesem unterentwickelten Gebiet. Auch hat er regelmäßig an heiligen Stellen gehalten, um Groschen für sein Fahrerglück zu spenden. Und ich hatte immer nur ja gesagt.
Das habe ich nun davon. Fred zeigte nämlich auf dem Weg zum nächsten Highligt locker nach rechts, hinein in die Pampa. War die Straße von Panama zur Arugam Bay schon der reinste Schüttler, nun soll es in sandiges und unbefestigtes Gelände gehen. Im Buschland ist schwach ein Weg zu erkennen, gerade mal so breit wie der Toyota. Hier soll nun Rodrigo reinfahren. Einige hundert Meter weit bis zum Meer.
"Ja, schon richtig", ergänzt auch Freds einheimischer Mitarbeiter Yusuf, der mit uns auf Tour ist. Yusuf weiß zwar nichts von unserer geheimen Kenntnis, uns aber ist unbeirrbar klar, dass er nur Yusuf heißen kann. Wir haben ihn glatt durchschaut, die unverwechselbare Doublette des ex Cat Stevens will uns, landestypisch getarnt mit optisch etwas dunklerem Taint, mit der Hotelboy Nummer nur täuschen. Zu verräterisch ist seine Nickelbrille seine Frisur, sein einfach alles.
Rodrigo gehorcht. Dienst nach Vorschrift ist angesagt. Und dann noch eine trübe tiefe Wasserdurchfahrt. "Ja ja, das geht, die Jungs von Hikkaduwa fahren da täglich mit ihrem Toyota durch." sagt Yusuf. Rodrigo gehorcht wieder. Als wir dann endlich da sind, bleibt Rodrigo beim Auto. Der herrliche vor uns liegende Strand, den er sonst so liebt, kann ihm gestohlen bleiben, wie vermutlich auch wir. Später am Abend, beim alles lösenden Arrak und einiger Kauladungen Betelnuß später ist wieder alles beim alten. Aber ja nicht nochmal. Das Kratzen der dornigen Zweige an seinem heiligen Blechle wird er wohl nie vergessen.
Die Hikkaduwa Jungs bauen gerade am Strand der Peanut Farm luftige Hütten auf Stelzen. Die Jungs haben auch an der, nur wenige km weiter nördlich liegenden Arugam Bay, ihre nette Anlage nach dem Tsunami wieder aufgebaut. Im Winter sind sie in Hikkaduwa, im Sommer nun hier. Deshalb auch der Name "Hikkaduwa Boys". Solche mit langen Haaren, weißen Muschelkettchen auf brauner Haut, Bob Marley T-Shirt und iPod im Ohr. Frauen sollten um solche Schokoladenperlen eher einen Umweg machen, an diesen Rasta Jungs kleben sie sonst wie an Honig, hab ich mir sagen lassen...
Der Strand der Peanut Farm ist wieder ein wahres Paradies. Der Name passt nicht so ganz, der lenkt die Gedanken eher zur Deutschen Bank. Was solls. Die große Süßwasserlagune des Hinterlandes trifft sich auch hier fast mit dem Meer. Sowohl am Pottuvil- als auch am Panama Point reichen große Lagunen ebenfalls bis fast an die See, so dass ein unwirklich schönes Landschaft entsteht. Dort finden Naturfreunde reiche Fauna und Flora, seltene Vögel, aber auch leibhaftige Krokodile. Aber letztere haben ja bekanntermaßen in Sri Lanka schwammig weißes Touristenfleisch nicht auf ihrer Speisekarte...
Dass hier, an der nun nach dem Krieg wieder weitgehend frei bereisbaren Ostküste, in unserem Sommer die Trockenzeit herrscht, macht Sri Lanka nun endlich auch zur Ganzjahresdestination; im Winter in den Westen, im Sommer in den Osten.
Wer nach 26 Jahren Krieg die tumben Urlaubsklatschen Bentota und Co. des Westens satt hat, findet hier im touristisch fast unberührten Osten von Sri Lanka garantiert eines der letzten unberührten Strand- und Naturparadiese dieser Erde. Wir haben es hier für uns gefunden.